Der Blip: die kleinste Informationseinheit im Web 3.0

Eine interessante Zukunftsansage, die uns blüht… (Hier runterladen: Google Wave und das Web 3.0 — hasecke.com, Solingen (NRW))

Das Wesentliche von Wave ist vielleicht, dass mit dem Blip endlich die kleinste mögliche Informationseinheit im Internet gefunden wurde. Damit wird eine Atomisierung der Kommunikation möglich, die bisher nicht vorstellbar war. Alle Blips bewegen sich nämlich in einem Ort ohne Zentrum. Was im Twitterversum in Kurzform möglich ist, die technologische Egalisierung aller Kommunikationsteilnehmer, kann mit Wave auf das gesamte Web ausgedehnt werden. Die Verortung von Information in einer Domain, durch die die Metapher der Zeitschrift oder des Lexikons und die damit verbundenen Herrschaftsstrukturen (Redaktion, Herausgeber, Verleger) ins elektronische Kommunikationszeitalter hinübergerettet wurden, wird durch Wave beendet. Der Kommunikationsraum Wave ist ein anonymes Kontinuum ohne Zentrum.

Für die Abstimmungsprozesse der Zukunft wird es alles flüssiger und beteiligter werden. Damit wird die Basisdemokratie weiter gestärkt, die Möglichkeiten der Beteiligung weiter entwickelt und so gemeinsam gehandelt:

Der Schritt weiter zu Liquid Feedback, ist vielleicht technisch gar nicht einmal so groß, denn fehlende Funktionen lassen sich bekanntlich durch Roboter oder Erweiterungen jederzeit in Wave implementieren. Da es für basisdemokratische Konzepte wie Liquid Feedback und Liquid Democracy wesentlich ist, dass die technischen Einstiegshürden so niedrig wie möglich sind, bietet die Nutzung eines universellen Werkzeugs einige entscheidende Vorteile. Die Teilnehmer einer Wave sind mit dem Werkzeug bereits vertraut, sie benötigen keinen neuen Account auf einer speziellen Liquid-Feedback-Website, um einem Thema zu folgen. Sie müssen sich noch nicht einmal aktiv entscheiden, an einem Liquid-Feedback-Prozess überhauöt teilzunehmen. Sie müssen lediglich einer interessanten Wave folgen, in der irgendwann bei Bedarf die gewünschten Abstimmungsprozesse ablaufen. Jeder Blip kann so zu einem Kristallisationspunkt für einen basisdemokratischen Liquid-Feedback-Prozess werden; ohne dass formale oder technische Hürden dem entgegenstehen.

Abstimmungsformen sind eben auch in ihrer Architektur entscheidend… Siehe auch Konsensverfahren u.a. Hier ein Beispiel für die Schulze-Methode:

Aus diesem Grund setzt LiquidFeedback ein Abstimmungssystem ein, welches das sogenannte Independence-Of-Clones-Kriterum erfüllt. Dieses Kriterium zur Beurteilung eines Wahl- oder Abstimmungsverfahrens wurde erstmalig 1987 von Nicolaus Tideman formuliert. Erst ein Abstimmungssystem, welches dieses Kriterium erfüllt, kann gemeinsam mit dem restlichen LiquidFeedback-Antragsprozess Beteiligungsmöglichkeiten schaffen, die a) keiner Moderation bedürfen und b) in höchstem Maße demokratisch sind.

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LiquidFeedback

LiquidFeedback ist eine Liquid Democracy Software, die wir ab Oktober 2009 im Rahmen des Public Software Group e. V. entwickelt haben, um der Piratenpartei auch angesichts stark steigender Mitgliederzahlen, die Beibehaltung ihrer basisdemokratischen Ausrichtung zu ermöglichen. Von Anfang an stand für uns fest, dass wir uns nicht auf Abstimmungen beschränken wollen, weil der Diskurs eine wesentliche Voraussetzung für fundierte Entscheidungen darstellt. Konzeptionelle Arbeit wird heute in der Regel von kleinen Gruppen, Gremien, Expertenkreisen oder gar visionären Einzelpersonen geleistet. Wir haben dies zunächst als gegebene Realität akzeptiert. Die Herausforderung bestand darin, die konzeptionelle Arbeit der demokratischen Mitwirkung zu erschließen ohne sie gleichzeitig zu verhindern. Erreichen wollten wir dies über ein strukturiertes Feedback, einen formalisierten gesellschaftlichen Diskurs, der viel feingliedriger und unmittelbarer wirkt als der bekannte Prozess aus Verlautbarung, Medienecho, Stammtischdiskussion, Meinungsumfrage und Wahlergebnis. Wir gehen also davon aus, dass viele konkrete Vorschläge auch in Zukunft durch vergleichsweise kleine Teams erarbeitet und weiterentwickelt werden und halten dies nicht für kritikwürdig, solange sichergestellt ist, dass alle

  • Kenntnis erlangen,
  • durch Anregungen Einfluss auf die Weiterentwicklung eines Vorschlags nehmen,
  • bei Bedarf einen Alternativvorschlag einbringen und
  • an der abschließenden Abstimmung teilnehmen können.

Zunächst sei gesagt, dass jeder das gleiche Recht hat, als Initiator einen Vorschlag in das System einzustellen. Dies vorausgeschickt haben wir uns entschieden, die Bearbeitungshoheit für einen Vorschlag beim Initiator, also dem Autor, zu belassen. Der Autor erhält während der Diskussionsphase quantifizierte Rückmeldungen über den Zustimmungsgrad und das Potential für zusätzliche Zustimmung bei Umsetzung verschiedener Anregungen. Er selbst kann entscheiden, was in seinen Entwurf passt und was er einarbeitet. Dabei unterstellen wir das Bestreben des Autors, dass sein Vorschlag sinnvoll und konsistent bleibt und zugleich mehrheitsfähig wird.

Screenshot Anregungen in LiquidFeedback

Teilnehmer, die einem Entwurf zustimmen könnten, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, können diese notwendigen Bedingungen formulieren und die Anforderung mit dem eigenen Stimmgewicht versehen. Sofern eine Anforderung bereits existiert, kann das eigene Stimmgewicht hinzugefügt werden. Bereits gestellte Anforderungen sind nach dem Stimmgewicht beginnend mit dem höchsten Gewicht sortiert. Um die Chance der Realisierung der eigenen Anforderung zu erhöhen, ist es sinnvoll, sich (wann immer möglich) einer bereits bestehenden Anforderung anzuschließen. Alle vorhandenen Anregungen können wie folgt bewertet werden:

  • notwendigen Bedingungen für eine Zustimmung
    („bei Realisierung dieser Bedingungen würde ich zustimmen“)
  • Indikation der Präferenzsteigerung
    („dies macht den Vorschlag noch unterstützenswerter“)
  • Indikation der Präferenzsenkung
    („ich würde zwar weiterhin zustimmen, dies aber als Verschlechterung ansehen“)
  • hinreichende Bedingung für das Entziehen der Zustimmung
    („bei Realisierung dieser Änderung ziehe ich meine Unterstützung zurück“).

Alle Initiativen arbeiten nun auf eine Verbesserung des eigenen Vorschlags in Bezug auf seine Mehrheitsfähigkeit hin. Wenn eine Initiative einen neuen Entwurf (neue Version des Antrags) veröffentlicht, werden die Unterstützer über die Änderungen informiert (Versionsvergleich) und können die Bewertung ändern und angeben, ob sie eine Anregung als umgesetzt betrachten. Das Feedback umfasst die folgenden Informationen:

  • Zahl derzeit vorbehaltlosen Unterstützer
  • Zahl der derzeit vorbehaltlosen Unterstützer, die den letzten Entwurf schon gesichtet haben
  • Gesamtzahl der potentiellen Unterstützer
  • Angaben über die Anzahl von Anhängern und Gegnern einzelner Anregungen entsprechend der oben genannten Feedback-Klassifizierung sowie über Korrelationen zwischen Anregungen.

Wer mit seinen Anregungen nicht durchdringt, kann bei Bedarf selbst als Initiator auftreten. Bewusst haben wir während der Diskussionsphase auf die Möglichkeit der Eingabe fundamentaler Ablehnung verzichtet. Die Diskursphase soll den grundsätzlich an einem Vorhaben Interessierten Gelegenheit zur Verbesserung des Vorschlags in konstruktiver Atmosphäre geben. Wer einen Vorschlag grundsätzlich ablehnt, sollte Gegenvorschläge unterstützen oder selbst als Initiator auftreten. Stimmen können global, auf Themenbereichs- oder Themenebene transitiv delegiert werden. Durch Beteiligung oder Ausübung des eigenen Stimmrechts wird die Delegation für die jeweilige Diskussion oder Abstimmung automatisch hinfällig. Eine Moderation findet zu keinem Zeitpunkt statt, da die Einflussmöglichkeiten eines Moderators aus unserer Sicht dem demokratischen Anspruch des Systems widersprechen würden.

Screenshot Abstimmung (Präferenzwahl) in LiquidFeedbackIm Anschluss an die Diskussionsphase erfolgt eine Abstimmung aller Anträge zum gleichen Thema. Als Wahlverfahren haben wir die Schulze-Methode gewählt. Eine Eigenschaft dieser Methode, die uns besonders wichtig war, ist die Klonresistenz: das Erstellen verschiedener Antragsvarianten zur gleichen Grundidee führt insgesamt zu keinem Vorteil oder Nachteil. Genau diese Eigenschaft bildet die Voraussetzung für den Verzicht auf Mehrheitsklüngelei” und taktisches Wählen. Ein Stimmberechtigter bringt bei LiquidFeedback alle Anträge, denen er zustimmen möchte, in eine Präferenzreihenfolge. Dabei kann er auch mehrere Anträge gleichbehandeln, indem er zum Beispiel zwei Favoriten oder mehrere Ersatzwünsche gleichen Ranges benennt. Auch abgelehnte Vorschläge können auf Wunsch in eine Präferenzreihenfolge gebracht werden, damit keine Motivation zur Zustimmung oder Enthaltung für das „kleinere Übel” entsteht. Im Rahmen der Auszählung wird zunächst die Gesamtzahl der Zustimmungen und Ablehnungen ermittelt und die nicht mehrheitsfähigen Anträge werden gestrichen. Die verbleibenden Anträge werden mit Hilfe der Schulze-Methode in eine Rangreihenfolge gebracht. Der Antrag mit dem höchsten Rang gilt als angenommen. Durch die Wahl einer klonresistenten Präferenzwahl brechen wir mit dem politischen Einigungszwang: niemand soll gezwungen sein, zur Schaffung von Mehrheiten schon im Vorfeld faule Kompromisse einzugehen.

Nach der Abstimmung werden alle Abstimmdaten offengelegt (namentliche Abstimmung). Dies gilt auch für die Informationen darüber, wer mit wessen Vollmacht gestimmt hat. Auf diese Weise kann jeder Teilnehmer selbst die Korrektheit der Ergebnisse überprüfen. Dies ist die einzige Möglichkeit, das System nachhaltig gegen Manipulationen zu schützen. Aus Datenschutzgründen können Pseudonyme zugelassen werden, wodurch die Abstimmung aber nicht zur geheimen Wahl werden kann. Eine geheime Wahl mittels Computer stellt ohnehin eine Illusion dar. Unter Verweis auf das Gibbard-Satterthwaite-Theorem bzw. das General Impossibility Theorem von Arrow plädieren wir jedoch während des Abstimmprozesses für eine organisatorisch sichergestellte Geheimhaltung von Zwischenergebnissen zur Verhinderung von Wahlmanipulationen (z. B. durch Bots). Obwohl die Schulze-Methode aufgrund ihrer Eigenschaften den Abstimmenden kein taktisches Wählen aufdrängt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Ergebnis verfälscht werden könnte, wenn die Zwischenergebnisse weitläufig bekannt sind.

Entwickelt haben wir LiquidFeedback mit Blick auf die Piratenpartei, deren Landesverband Berlin es seit Januar 2010 zur Ausarbeitung politischer Positionen nutzt. LiquidFeedback steht der Öffentlichkeit als Open Source Software unter MIT-Lizenz kostenfrei zur Verfügung und kann daher auch von anderen Parteien, Gebietskörperschaften, NGOs, Vereinen und Stiftungen genutzt werden.

Könnte es nicht sein, dass die gerechtere Welt im Sinne der geheiligten Systeme (Reich Gottes) mit diesem Anliegen besser erreicht wird, als mit den bisherigen Systemregeln?

Eine große Herausforderung wird auch darin bestehen, die Bedeutung einer Entscheidung für einzelne Gruppen in das öffentliche Bewusstsein zu bringen. Eine Entscheidung, die Vielen einen kleinen Vorteil bringt, einigen Wenigen aber einen großen Nachteil, bedarf der Abwägung. Berücksichtigt werden müssen unter Umständen auch Auswirkungen auf Dritte, die an einer Abstimmung gar nicht beteiligt sind. Es wird nicht mehr darum gehen, der Öffentlichkeit etwas „zu verkaufen”, sondern in einem mühsamen Prozess die für eine sinnvolle Entscheidung erforderlichen Informationen zu vermitteln – und es wird nicht genügen, nur die eigenen Interessen im Blick zu haben. Es wird dabei auch um die Frage gehen, was uns der soziale Friede wert ist, und zwar lokal, national und global. Das Durchsetzen von Partikularinteressen ohne gerechte Abwägung ist Kennzeichen einer zu überwindenden Politik alten Stils. Wir verbinden mit der interaktiven Demokratie die Hoffnung, dass sich mit der Beteiligung vieler interessierter Menschen auch eine neue Sicht auf die Zusammenhänge der Welt gegen Unvernunft und übermäßigen Eigennutz durchsetzt.

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