„Du inkorporierst Christus“- zeitgemäße Denkvorstellung?

Buch N.T. WrightUnter dem provozierenden Titel „Glaube und dann?“ hat der englische Theologieprofessor N.T. Wright sein neustes Buch gestellt. Untertitel der deutschen Übersetzung. „Von der Transformation des Charakters“!

Mit seinem Essay über das Glaubensverständnis als transformatives Geschehen im Neuen Testament räumt Wright auf mit allen Vorstellungen, die den Glauben auf einer rein ideologischen Ebene lokalisieren. Er fokussiert sich auf die Charakterveränerung als notwendige Folge des Glaubens.

Spannend erscheint mir, wieso sich dieses Glaubens-Verständnis zur Zeit in der evangelischen Tradition erst langsam wieder Gehör verschafft (reformierte Christen hatte schon immer die „Heiligung“ als Lebensaufgabe verstanden).

Meine Vermutung: Ich glaube, dass es zeitgeistgemäß ist und darum eine angemessene Enkulturation des Evangeliums, die heute wieder neu wahrgenommen wird. Hier nun meine Begründung:
Vereinfacht stelle ich der Modern (20. Jh.) die Postmodern (21. Jh.) gegenüber und sehe folgende Unterschiede:

War die Moderne seit der Aufklärung an der Orthodoxie / Ideologie (damit am Führwahrhalten, Denken, Lesen, Verstehen, kurz Wahrheiten) eines Systems interessiert, so lebt die Postmodern in ent-Täuschung über den Wahrheitsbegriff und foccussiert sich auf Ortho-Praxie (richtiges Tun), die Taten, / Unterlassungen, Ort und Erlebnisse (Prä der Ästhetik), und fragt nach Stämmigkeit und Authentizität.

Die Moderne fuhr auf Logik, Ideologie zur Abbildung von Wirklichkeit ab, die Postmoderne auf Erleben, Berührung, also leibhafte Dimension der Wirklichkeit (Singen, Tanzen usw.).

Das Evangelium lässt sich daher eher durch Symbole (als Wahrzeichen oder Ausdruckszeichen) darstellen als durch verbale „Verkündigung“.

Diese Nähe zum Körper ist auch ein Gegenentwurf zur historischen Trennung von Körper und Geist. Damit scheinen mir monistische statt dualistische Entwürfe der Wirklichkeit für das 21. Jh. mehr Plausibilität zu bekommen.

Wenn ich den Zeitgeist damit treffend erfasst habe, scheint mir deutlich zu werden, dass ein Christentum, das den Glauben „verleiblicht“, bzw. die „Einverleibung Christi“ nicht nur lehrt, sondern bewusst lebt, dem Verständnis der Kultur angemessen zu sein.

Die Rede muss heißen:

„Du verkörperst Christus in deinem Leben“ (ohne Wenn und Aber).
Wie sonst sollen wir die biblische Rede von der Einwohnung des Geistes sonst übersetzen? Auf jeden Fall nicht als „geistig“, rein gedachtes, ideologisches Glauben!

Nach Joh. 6, 55-56 wird diese Einkorporation Christi in ihrer Drastik von Jesus dargestellt, was zurecht Widerstände und Konfrontation bei seinen Jüngern hervorruft? Was hindert uns heute, diese Position der „Vergottung“ des Menschen (Gott in dir, Jesus in dir) nicht neu aufzunehmen? Sicherlich sind viele Glaubenssysteme mit diesem Anspruch aufgetreten und haben es als Perfektionierung des Menschen missverstanden (Vergottung als Vervollkommnung). Die Ostkirche (Orthodoxie) kann diese Begriff der „Vergottung“ von je her ganz unbefangen benutzen. In der Westkirche (Kath/luth. / Reformiert) gab es (historisch von einer sehr moralisch orientierten Kultur, mittelalterliche BUSSTRADITION, begründet) viele Einsprüche gegen diese Denkvorstellung, um das Evangelium nicht „perfektionistisch“ misszuverstehen.

Für heutige „Neugnostiker“ (New Age) hingegen ist es eine geläufige Denkvorstellung.

Wir können wir das Missverständnis vermeiden, göttlich = perfekter? Vielleicht hilft hier die Kreuzestheologie, die besagt: Jesus ist Verkörperung Gottes in einer konkreten menschlichen Gestalt. Alle seine Jünger sind Verkörperungen Jesu (ohne hier perfektionistisch zu werden), vgl. Joh. 6, 56, die den ganzen Jesus zwar vertreten, aber doch in einer typischen, auf das jeweilige Individuum begrenzten Ausprägung. theologisch korrekt können wir das ganze, vollständige Bild des Christus nur gemeinsam als Weltkirche repräsentieren. Und dennoch verkörpert jeder einzelne in sich Gott.

Ist das zu krass? Auf die Drastik Jesu, der sagte, „nur wer mein Fleisch kaut“, enkodiert mich und wird ewig leben bezogen, finde ich diese Ausdrucksweise angemessen, auch wenn sie schon damals für die Zuhörer als Skandal empfunden wurde (V. 66).

Was für eine Spiritualität folgt aus dieser These?

1. Ein Ernstnehmen der leibhaften Vollzüge (gg. alle Tendenzen zu spiritualisieren)).
2. Eine große Gelassenheit, dass allein mein „Da-Sein“ schon Verkündiung ist (Christus ist in mir und durch mich präsent).
3. Eine hohe Wertschätzung des einzelnen Christen, der sich gewürdigt (trotz seiner Begrenzung) weiß, das Göttliche zu repräsentieren.
4. Ein monistisches Konzept, das Gott nicht als fernes Gegenüber versteht, sondern in seinen Geschöpfen anwesend.
5. Gottesdienste als Symbole des ganzen Christus (klarer und deutlicher zu erkennen in seinen vielfältigen Verkörperungen)
6. Abendmahlsfeiern als sinnenhafte Feiern des Geheimnisses dieser Wirklichkeit (Christus in mir, ich in Christus).

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