In wie weit kann sich eine Religion/Ideologie verändern?

Eine der coolsten Innovationen wäre es, wenn sich jahrtausendealte Religionen/Ideologien verändern. Die erste Rückfrage zu dieser These: Ist das überhaupt zu wünschen? Eigentlich wohl nicht, weil es in solchen Feldern doch um den Erhalt einer (überlebens-)wichtigen Tradition geht.Aber… aus aktuellem Anlass in einer medial gesehen dörflichen Welt… wünschen sich einige z.B. die Veränderung des Islams (später in diesem Artikel wird deutlich werden, dass auch Christentum und Moderne/Postmoderne sich kritisch hinterfragen müssen). Und das kam so…
Grobgliederung:
1. erst einmal die Vorgeschichte,
2. dann die aktuelle Vorlesung des Papstes samt ihrer medialen Erschütterungen,
3. Die Schlussfolgerungen für unsere Welt…

1. In einem nicht beachteten (transskribierten) Radiointerview in den USA wurde über einem privaten Islam-Seminar auf der Sommerresidenz des Papstes berichtet:

Strange as it may seem, the pope must whisper when he wants to state agreement with conventional Muslim opinion, namely that the Koranic prophecy is fixed for all time such that Islam cannot reform itself. If Islam cannot change, then a likely outcome will be civilizational war, something too horrific for US leaders to contemplate. What Benedict XVI thinks about the likelihood of civilizational war I do not know. Two elements of context, though, set in relief his reported comments concerning Islam’s incapacity to reform.

Ganz im Gegensatz zur Prämissen eines Präsidenten Bush in Washington (der davon ausgeht, dass sich der Islam eben unter demokratischen Umständen im Irak z.B. natürlich zu einer liberalen Bewegung entwickeln wird) wendet der Papst ein, dass das allein durch das Offenbarungsverständnins nicht möglich sei. Der Koran ist „Verbalinspiriert“ (durch den Engel Gabriel wörtlich an Mohammend übergeben), die Worte der jüdisch-christlichen Offenbarung sind durch sterbliche (irrtumsfähige) Menschen übermittelt, was einer Interpreation und Reinterpretation (also Diskussion) die Tür öffnet.

Soweit in Kürze dieser sehr aufschlussreiche Bericht über das private Seminar mit dem Papst (Bericht vom 10. Jan. 2006 in der ASIAN TIMES)

2. Anlass für dieses Thema sind die heute berichteten Reaktionen auf die Vorlesung des Papstes über das Verhältnis von Vernunft und Glauben in Regensburg.

Zusammengefasst lautet die These des Papstes auch hier: Veränderungen des Islams sind nicht zu erwarten, wenn wir annehmen, dass theologische Prämissen grundlegend verändert werden müssen, um ein neues Offenbarungsverständnis und in der Folge auch ein neues Gottesverständnis im Islam zu entwickeln.

Papst Benedikt XVI. zitiert zwar einen alten Religions-Dialog

untermauert damit aber seine Argumentation, dass in der Theologie des Islam keine Verbindung zwischen Vernunft und Gottesoffenbarung möglich sei, weil „Gott“ sich nur sich selbst gegenüber verantworten muss, nicht aber menschlicher Vernunft… Hier das Originalzitat vom Papst:
Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Herausgeber, Theodore Khoury, kommentiert dazu: Für den Kaiser als einen in griechischer Philosophie aufgewachsenen Byzantiner ist dieser Satz evident. Für die moslemische Lehre hingegen ist Gott absolut transzendent. Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die der Vernünftigkeit. Khoury zitiert dazu eine Arbeit des bekannten französischen Islamologen R. Arnaldez, der darauf hinweist, daß Ibn Hazn so weit gehe zu erklären, daß Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und daß nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es wollte, müsse der Mensch auch Idolatrie treiben.
Hier tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert. Ist es nur griechisch zu glauben, daß vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist, oder gilt das immer und in sich selbst? Ich denke, daß an dieser Stelle der tiefe Einklang zwischen dem, was im besten Sinn griechisch ist und dem auf der Bibel gründenden Gottesglauben sichtbar wird.

Damit deutlich wird, dass der Papst auch christentumsintern kritisch denkt folgt sofort die nächste Passage, in der sehr selbstkritische Töne gegenüber christlichen Lehrentwicklungen anschlägt. Diese Töne sind auch für protestantische „Extremisten“ notwendig zu hören…
Hier ist der Redlichkeit halber anzumerken, daß sich im Spätmittelalter Tendenzen der Theologie entwickelt haben, die diese Synthese von Griechischem und Christlichem aufsprengen. Gegenüber dem sogenannten augustinischen und thomistischen Intellektualismus beginnt bei Duns Scotus eine Position des Voluntarismus, die schließlich dahinführte zu sagen, wir kennten von Gott nur seine Voluntas ordinata. Jenseits davon gebe es die Freiheit Gottes, kraft derer er ja auch das Gegenteil von allem, was er getan hat, hätte machen und tun können. Hier zeichnen sich Positionen ab, die denen von Ibn Hazn durchaus nahekommen können und auf das Bild eines Willkür-Gottes zulaufen könnten, der auch nicht an die Wahrheit und an das Gute gebunden ist. Die Transzendenz und die Andersheit Gottes werden so weit übersteigert, daß auch unsere Vernunft, unser Sinn für das Wahre und Gute kein wirklicher Spiegel Gottes mehr sind, dessen abgründige Möglichkeiten hinter seinen tatsächlichen Entscheiden für uns ewig unzugänglich und verborgen bleiben. Demgegenüber hat der kirchliche Glaube immer daran festgehalten, daß es zwischen Gott und uns, zwischen seinem ewigen Schöpfergeist und unserer geschaffenen Vernunft eine wirkliche Analogie gibt, in der zwar die Unähnlichkeiten unendlich größer sind als die Ähnlichkeiten, daß aber eben doch die Analogie und ihre Sprache nicht aufgehoben werden (vgl. Lat IV). Gott wird nicht göttlicher dadurch, daß wir ihn in einen reinen und undurchschaubaren Voluntarismus entrücken, sondern der wahrhaft göttliche Gott ist der Gott, der sich als Logos gezeigt und als Logos liebend für uns gehandelt hat und handelt.

Der „reine und undurchschaubare Voluntarismus“ (im Islam ist er das Normale – soweit ich das jetzt verstanden habe) ist in christlicher Theologie immer dann am Werk, wenn der Mensch in einen krassen Gegenüberstand zu Gottes Jenseitigkeit beschrieben wird.

3. Nachdem der Papst dann die 3 unterschiedlichen Phasen der Kritik gegen die Hellenisierung des christlichen Glaubens referiert hat, erörtert er die praktischen Folgerungen seiner Darlegungen so:
Denn bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten des Menschen sehen wir auch die Bedrohungen, die aus diesen Möglichkeiten aufsteigen und müssen uns fragen, wie wir ihrer Herr werden können. Wir können es nur, wenn Vernunft und Glaube auf neue Weise zueinanderfinden; wenn wir die selbstverfügte Beschränkung der Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare überwinden und der Vernunft ihre ganze Weite wieder eröffnen. In diesem Sinn gehört Theologie nicht nur als historische und humanwissenschaftliche Disziplin, sondern als eigentliche Theologie, als Frage nach der Vernunft des Glaubens an die Universität und in ihren weiten Dialog der Wissenschaften hinein.
Nur so werden wir auch zum wirklichen Dialog der Kulturen und Religionen fähig, dessen wir so dringend bedürfen. In der westlichen Welt herrscht weithin die Meinung, allein die positivistische Vernunft und die ihr zugehörigen Formen der Philosophie seien universal. Aber von den tief religiösen Kulturen der Welt wird gerade dieser Ausschluß des Göttlichen aus der Universalität der Vernunft als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen angesehen. Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen.
Er wehrt sich damit übrigens gegen das Abdrängen der Ethik in die private Beliebigkeit.
Mit deutlichem Kritik an postmodernem Relativismus (Wahrheit wird jenseits von Vernunft und Begründbarkeit zu privatem Überzeugtsein) beendet er seine Rede schließlich so:

Der Westen ist seit langem von dieser Abneigung gegen die grundlegenden Fragen seiner Vernunft bedroht und kann damit nur einen großen Schaden erleiden. Mut zur Weite der Vernunft, nicht Absage an ihre Größe – das ist das Programm, mit dem eine dem biblischen Glauben verpflichtete Theologie in den Disput der Gegenwart eintritt. „Nicht vernunftgemäß (mit dem Logos) handeln ist dem Wesen Gottes zuwider“, hat Manuel II. von seinem christlichen Gottesbild her zu seinem persischen Gesprächspartner gesagt. In diesen großen Logos, in diese Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein. Sie selber immer wieder zu finden ist die große Aufgabe der Universität.
Meine Zusammenfassung:
Die Botschaft an den Islam lautet dann direkt so:
• Weite deine Diskussionfähigkeit, indem du das Kriterium „Vernunft“ aufnimmst in die Grundprämissen des Glaubens.
Die Botschaft an die Universität lautet:
• Erweitert euren Vernunftbegriff (jenseits von Emperie und Falsifierbarkeit) um die Möglichkeit, aus religiösen Quellen zu schöpfen
Die Botschaft an die Postmoderne lautet:
• Entwickelt wieder ein Gesamtbild der Wahrheit gegründet auf vernünftiger,kommunizierbarer Logik.
Die Frage bleibt offen, wie weit sich die Plausibilitätsvorstellungen von Islam, Wissenschaftsparadigma der Neuzeit und Postmoderne verändern lassen oder besser: wodurch? Ist die liberale Position (weltanschaulich neutral) durchzuhalten, bzw. wird sie in dem von einigen (wenigen?) erwarteten„Clash of Civilization“ die Kraft haben, die nötig wäre?
Meine Position dazu skizziere ich kurz:
Mit Peter L. Berger (Zwang zur Häresie)
bin ich der wissenssozioliogisch begründeten Überzeugung, dass Spezialisten nicht kraft ihrer Argumente Recht behalten werden im wissenschaftlichen Diskurs, sondern die Meinungshoheit durch (das ist wissenssoziologisch erwiesen) „Mehrheiten“ geschaffen werden. Plausibilität erhält immer das, das sozial verankerte Stützstrukturen aufweisen kann.
Und in diesem Zusammenhang wird der Kampf um die Meinungshoheit zur Zeit (Postmodern oder im Kulturkreis des Islam vormodern) mit harten Bandagen ausgefochten. Mal schauen, ob sich die Massen mit mehr Gewaltpotential eher durchsetzen? Oder eher die Kriegsstrategen oben? Die Gefahr, dass Plausibilität durch Terror(möglichkeit) erreichbar ist, lernen die Extremisten im islamischen Kontext sicher von den extrem hochgerüsteten westlichen Kriegsmächten (USA). Denn wer auf die „erlösende Kraft der Gewalt“ setzt (ob durch Kriegsmaschinerie oder durch terroristische Anschläge
„Der Terrorismus der Macht erzeugt den Terrorismus der Ohnmacht“)
lehrt seine Gegner immer nur das eine: Gewalt scheint zu funktionieren. Also benutze sie!
Von daher wird sich meiner Meinung nach eine wahrheitsstützende Mehrheit auf das Machtpotential stützen wollen. Wenn Christen in diesem „Spiel“ mitmachen (jenseits der rein kognitiven universitären Auseinandersetzung – und die ist dringend nötig!), muss Jesu 3. Weg des „gewaltfreien Widerstands“ gegründet auf der Angstfreiheit vor dem Tod (Hebräerbrief. 2, 14f) gelebt werden. Nur so wird die westliche Welt nicht mehr mit „mehr Gewalt“ antworten auf Terror und überzeugend einen Gott und seine Wahrheit übermitteln, die in dem Gewaltverzicht Jesu am Kreuz gründet.
P.S. Geht es hier wirklich um den „Kampf der Kulturen“?
Dazu die ausführliche Kritik dieses Konzeptes hier:
So wird Kultur, die sich bisher noch als gesellschaftlich wertvoll und nötig bewährt hatte, zum Instrument der Macht und Gewalt, zum vermeintlichen Gegenmittel gegen Zerstörung. Diese Umkehrung der Werte ist das Werkzeug und Zerrbild vernichtender Interessen auf allen Seiten und wird zur Angst- und Machtsymbolik schlechthin.
Von daher ist es dann relativ gleichgültig, um was es wirklich geht. Es ist ein Kampf der Symbolik. Und wie dann dieser symbolische Machtkampf ausgelöst wird, ob von der US-Presse oder der dänischen und ob in Palästina oder im Iran Fahnen verbrannt werden, ist in dieser Hinsicht im Grunde gleichgültig. Es herrscht die Reaktion und die Reaktionäre schaukeln sich in besinnungsloser Selbstbehauptung bis zur Selbstvernichtung hoch. Es ist ein Kampf um etwas, das nicht mehr auseinandergesetzt, sondern nurmehr verteidigt werden kann.Eigentlich war es für die Betroffenen nie ein „Kampf der Kulturen“. Für alle ging es zuvor um Mittel des Lebens, Erdöl, Wasser und andere Bodenschätze und Märkte.

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