ZEIT-Leser für dumm verkauft- Woran erkenne ich Propaganda?

Der Artikel „Heilung in Gottes Namen“ von Karin Kontny (ist es diese Karin Kontny? Dann verstehe ich es erst recht nicht, weil sie doch differenzierter kann? – erschienen in der Wochenzeitung die ZEIT vom 18. Januar 2007) macht mich noch einmal sehr nachdenklich, welche MeinungsMacht die Medien haben – oder zumindest sich nehmen (möchten?).

Die Beratungsarbeit der Organisation „Wüstenstrom“ sollte an dieser Stelle vorgestellt werden. In Wahrheit wird hier Propaganda im eigentlichen Sinne betrieben (vgl. die Stellungnahme von wüstenstrom auf ihrer Website).
Wie durchsichtig ist solch ein Vorgang? Kann eine Redaktion im hektischen Alltagsstress den Unterschied zwischen Propaganda und guter Recherche erkennen? Oder ist die Redaktion selbst (gutgläubig) hinters Licht geführt worden?

Auch für andere ZEITansagen sollte man ja gewappnet sein, um „Wahrheit“ von „Falschmeldung“ unterscheiden zu können. Meine Schlüsselfrage ist also zuerst nicht: Wie stehe ich zu den Inhalten des Artikels, sondern ist er überhaupt glaubwürdig.

Woran erkenne ich Proganda?

1. Insistierende Wiederholung, die nahe legen soll, am Ende sei doch etwas an der Sache dran.
»Elektroschocks gibt es nicht, wir beten auch niemanden gesund«

Dieser Satz wird „komischerweise“ im Artikel zweimal gebracht. Soll hier etwas „emotional“ hängenbleiben. Zumal das Gehirn leider die Verneinungsform nicht immer sauber von der Aussagenform trennen kann (wie die Forschung ergab. Hier hab ich leider gerade keine Quelle, aber das noch im Gedächtsnis. Prüft es selbst.). Hört hier das Gehirn den Subtext lauter: „Also doch Elektroschocks und Gesundbeten, ich habe es ja gewußt!“ ?

2. Katergorie Täuschung• Explizite Behauptungen mit unwahrem oder willkürlich gewichtetem Inhalt
Auch Homosexuelle und Kirche (HuK), ein ökumenischer Verband homosexueller Christen, hat Hilferufe ehemaliger Wüstenstrom-Klienten erhalten. Darüber sei man »sehr verwirrt«, hatte doch Hoffmann bei einem Gespräch behauptet, er sei kein »Umpoler«. Nun glaubt man auch bei HuK, dass in Tamm »etwas faul ist«.

Diese Behauptung der ZEIT ist ein Falschmeldung (wie der Gegendarstellung von wüstenstrom zu entnehmen ist, die HUK hat öffentlich genau das Gegenteil, nämlich eine sachliche Auseinandersetzung gelobt). Aber woran erkennt der einfach ZEITungsleser Täuschungen?

Recht einfach: diese Behauptung hat keine Quellenangabe (kein Datum, keine Website, oder keinen Namen, den man anrufen könnte, um die Wahrheit zu überprüfen). Mein FAZIT: Immer auf die Quellenangabe achten (wenn nicht genannt, misstrauisch sein).

Gemäß Wikipedia wird dieser Trick auch „graue Propaganda“ genannt: „Propaganda, bei der man keine Quelle für die Nachrichten nennt“.
Tabuisierung bestimmter Themen (verschiedene Themen werden aus der Öffentlichkeit verbannt) und / oder ihre Nennung bestraft. (Strafandrohung, gesellschaftliche Nachteile, etc.).

Da Homsexualität als heißes Eisen seit Jahren in säkularer und kirchlicher Öffentlichkeit gilt, ist das hier zu erwarten. Und richtig:
Heute sieht man das anders. »Homosexualität ist nicht als Störung anzusehen«, urteilt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Als verhaltensgestört gelte vielmehr, wer sich als Schwuler wünscht, es nicht zu sein.

Dieser Satz (wieder ohne genaue Quellenangabe, Zeit, Umstände dieser Entscheidung, möglicher Gegenmeinungen, Verweis auf sexualwissenschaftliche Forschungsergebnisse) kombiniert ein Statement der WHO mit der „Tabu-Meinung“ der Öffentlichkeit: „Schwule“ dürfen sich nicht wünschen, keine zu sein (sonst droht das Verdikt: „verhaltensgestört“). Durch die Umformulierung des Satzes wird deutlich: das kann keine WHO gesagt haben, da es in die persönlichen Freiheitsrechte eines Menschen eingreift: Wieso sollte sich ein „Schwuler“ das nicht wünschen dürfen? Wen oder was verletzte er mit diesem Wunsch? Die tabuisierte Meinung der Öffentlichkeit?

Auch hier Tricks der „grauen Propaganda“: keine Quellenangaben, und dazu noch: „Propaganda, bei der man gerade das, was man verheimlichen möchte (aber nicht kann) übertreibt oder/und mit falschen Informationen vermischt, um Verwirrung zu stiften.“

Dieser Trick wurde übrigens über weite Teile des Berichts angewandt: Denn wer das „Beratungsverständnis“ von Wüstenstrom gelesen hätte (und sie steht öffentlich im WEB), der hätte über weite Strecken der Darstellung der Reporterin Karin Kontney als Irreführung sofort entlarvt. Weil aber keine Quellenangaben gemacht werden, muss der Leser sich auf die Angaben der Reporterin verlassen. Ihr Hauptargument: Ich habe das alles gehört und selbst gesehen.

Tja, warum sollte man einem Reporter Glauben schenken in solch einem umstrittenen Themenbereich, ohne dass er seine Meinung mit objektiven Quellenangaben unterstützt. Allein eine einzige hätte gereicht: www.wuestenstrom.de.

• Tricks unter Verschiedenes:

Unterstützung durch Prominenz oder durch Angehörige geeignet erscheinender Berufsgruppen:

Hier wird eine Berliner Beratungsstelle erwähnt, die ca. 800 km Luftlinie zu Thamm hat.
Die Schwulenberatung Berlin weiß um die Folgen solcher Methoden. Hier gingen Hilferufe von Schwulen ein, die in Tamm als psychosexuell gestört eingestuft wurden. Der Psychologe Arnd Bächler kennt viele Fälle, in denen die Betroffenen nach einer Beratung in Tamm Selbsthass oder gar Selbstmordgedanken hegen.

Was ist psychosexuell? Laut Wikipedia ist die „Synthese neuer Phantasiewörter“ für vielfältige Zwecke geeignet. Werden in Tamm überhaupt Diagnosen gestellt? Siehe Beratungsverständnis. Im Vergleich zur Schwulenberatung in Berlin wird in Tamm das Beratungsverständnis explizit offen gelegt. Sehr transparent für eine „Sekte“ („Sektenvorwurfe“ gehört oft zu den suggestiven Methoden in Deutschland, wenn man mit Argumenten nicht mehr weiter kommt.)
Wikipedia: Negative Darstellung der Gegner als extreme Minderheit („Nur einige Sekten, Splittergruppen sind dagegen”).

Wer auf der berliner Seite der Schwulenberatung schaut, gewinnt zumindest den Eindruck, dass mit dem „schwulen Lebensstil“ massive Probleme gekoppelt sein können. Dieselbe Not sieht man in Tamm und versucht zu helfen mit einem einzigen Unterschied: eine mögliche Veränderung auch der sexuellen Anziehung kann als Ergebnis der therapeutischen Hilfe nicht ausgeschlossen werden. Wer dies ausschließt, muss sich vielmehr dem Verdacht der Indoktrinierung aussetzen. Indoktrinierung wird deutlich in dem ZEIT-ARTIKEL so ausgedrückt…
Wie bei Rolf Höhr*, der vor einem Jahr sein Comingout hatte. Ein Pfarrer seiner Gemeinde empfahl ihm Wüstenstrom. Seit der Beratung in Tamm ekelt sich der 35-Jährige vor sich selbst. Noch immer liebt er Männer und hat Angst, dass ihn deshalb seine Gemeinde verstößt. »Dass es ein solches Angebot überhaupt gibt, setzt Schwule im Coming-out unter Druck«, meint Bächler.

Zusammenfassung:

Nach einem ersten oberflächligen Durchgang des Artikels weisen mehrere Indizien schon auf den ersten Eindruck auf das hin, was allgemein unter „Propaganda“ zusammengefasst werden kann.

Wer sich wirklich um die (nicht erwähnten) Quellen bemüht, kann schnell den scheinbar objektiven Bericht „Lügen strafen“. Nur das benötigt immer etwas mehr Denkarbeit. Die Gegendarstellung wirkt auf mich weit seriöser und glaubwürdiger:

• Quellen sind eindeutig nachvollziehbar

• Meinungen sind differenziert dargelegt
• die Sachebene statt manpulativer Suggestionen zu Personen

• Das Beratungsverständnis spricht Bände an Transparenz (gerade auch im Blick auf die neuralgischen Punkte des Themas!).
Hat die ZEIT-Redaktion kein Gespür für Progaganda (mehr)? Da hier grundlegende Recherchepflichten verletzt werden, muss ich vermuten, dass sie sich (bei diesem Themenbereich) lieber an der Propaganda als an seriöser Berichterstattung orientieren?

Da hier an der Leitung von Wüstenstrom exemplarisch die ganze Arbeit von Wüstenstrom diskreditiert wird, wird Wüstenstrom sich sicherlich auch rechtlich mit dieser Art von Diskriminierung auseinandersetzen. Zumal das neue Diskriminierungsgesetz extra für solche Fälle verschärft wurde :-).

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