Volx-Kirche für das 21. Jahrhundert?

Es gibt viele neue Kirchenprojekte in der Republik. Darunter auch die Gemeindepflanzungen (als Zielgruppenkirchen) – und in Landeskirchen und Freikirchen unterschiedlichste Jugendkirchen. In der Regel sind solche Kirchen-Neu-Erfindungen vor allem Versuche der Enkulturation, aber nicht automatisch wirklich neu, was die klassischen Elemente einer „christlichen Kirche“ angeht. Dabei wird oft übersehen, dass die Enkulturation nicht nur in der Generation der Jugendlichen nötig ist. Dazu später mehr…
So führt uns zum Beispiel der Link die Volxkirche Berlin zur aktuell oder ehemals(?) so genannten  Junge Kirche Berlin, einer Gemeindeneugründung unter dem Dach der Stadtmission Berlin. Sie ist für mich (auf den ersten Blick) eigentlich eine ganz traditionelle Kirche im Stil der Popkultur. Warum diese Kirche Volxkirche heißt, wird mir nicht ganz plausibel. Vielleicht, weil sie mit Luthers Worten „dem Volk aufs Maul schaut?“. Also Missionskirche oder Predigtkirche-im-Popgewand wäre plausibler für mich, weil sie in ihrem Leitbild…

Wir sind eine neue Gemeinde der Evangelischen Kirche unter der Trägerschaft der Berliner Stadtmission. Viele Menschen gehören zu uns und besuchen unsere Gottesdienste: junge Leute, Familien mit Kindern, Studenten, Schüler, Arbeitslose, unkirchliche und kirchliche Menschen.

Es gibt viele Möglichkeiten, neue Leute kennen zu lernen, sich für etwas Gutes zu engagieren, Gott und das Leben zu feiern: Gottesdienste, kreative Gruppen wie z.B. unser Internet-Team, Multimedia-Ressort, Bandarbeit, Bistro-Team, Kleingruppen, usw.

Wir nennen uns Junge Kirche, nicht weil unsere Gemeinde nur aus jungen Leuten besteht, sondern weil unser Glaube und der Stil unserer Kirche jung ist.

Wir glauben und erleben, dass Gott real ist, eine großartige begeisternde Macht der Liebe.

Er macht unser Leben wertvoll und sinnvoll.

Wir machen die Erfahrung, dass ein Leben mit Jesus Christus unglaubliche Kräfte freisetzt für Sinn, Geborgenheit, Güte und Kreativität.

…vor allem eine Leidenschaft für Noch-Nichtchristen erkennen lässt. Dabei ist ihr (alter?) Name „Junge Kirche Berlin“ hier erwähnt, Volxkirche kommt nicht vor… Zugleich muss der Name sich von einer Interpretation auf „Jugendkirche“ abgrenzen, was für das Marketing schwierig ist.

Traditioniell freikirchlich ist die Form der Leitung durch die „Gründer“, die sich durch Nachwahl weitere „Älteste“ berufen (mit dem Einstimmigkeitsprinzip). Diese Kirche existiert erst knapp 10 Jahre, so dass sie wohl noch – soziologisch gesehen – voll in der Pionierphase sind.
Ihre Stärke wird sicherlich die persönliche Gemeinschaft (Community) sein, wo junge Familien mit ihren Kindern einen geschützten Rahmen bekommen. Ihre Größe erscheint mir noch in „Klangröße“, also gut in einem System überschaubar zu sein. Der Webauftritt ist ziemlich normal, mit einige guten (aber nicht innovativen) Ideen, z.B. die Ressorts durch Videos vorzustellen. Visuell marketingmäßig ist da – nach meinem Geschmack – nicht so viel Explosivkraft drin. Ihr Design ist auch ohne Corporate-Feeling – leider. Diese Chance haben sie vertan. Vielleicht ist aber das Bekenntnis zum Normalen auch ein Ausdruck ihrer speziellen Millieuverhaftung (Sinus-Millieu: Bürgerliche Mitte und einige Experimentalisten?). Die Coolen Hedonisten sind zumindest nach dem Bericht in ihrer Gemeindepublikation INFOMAT, 1>/2009< (Bericht eines Coolen Partyhoppers) beeindruckt.

Die konzeptionelle Stärke von Volkskirche (der Anspruch, eine Kirche für das Volks zu sein, wie es in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderst formuliert wurde) wird durch Zielgruppenkirchen natürlich noch nicht erfasst. Im Gegenteil, das wird eine Menge VOLK ausgeschlossen. Das ist in einer spezialisierten und ausdifferenzierten Volkskultur nicht anders zu erwarten.

Unter welchem Gesichtspunkt könnte der Begriff Volkskirche heute wirklich neue Plausibilität bekommen?

Ich glaube, dass die reformatorische Idee, dass das Priestertum aller Glaubenden zur Kernidentität von christlicher Kirche gehört, neu im 21. Jahrhundert entdeckt werden kann.

Dazu gehören dann aber Grundsatzfragen wie…

  • Wie wird die Struktur von Kirche die Kraft des Volkes durch Beteiligungsstrukturen bilden?
  • Wie kann eine Gottesdienstkultur vom Volk gestaltet werden? (Nicht-Monologische, sondern plurilogische Gottesdienste)?
  • Wie kann die Millieuverengung strukturell immer wieder aufgebrochen werden? ( – es sei denn, es ist gewollt, das Volkskirche  sich heute immer innerhalb von Millieugrenzen ereignet- aber wie wird dann die ökumenische Verbundenheit gelebt?)
  • Wie wird eine Informationsvermittlung vom Volk – statt TOP-DOWN funktioneren (Web2.0?)
  • Wie werden Schulungsangebote dem Lernen im 21. Jahrhundert entsprechen (Vernetzung der Wissensnetzwerke)?
  • Wie wird systemisch die Parochie als Eingrenzung überwunden, indem Netzwerkstrukturen erfunden und für das Volk nutzbar gemacht werden?
  • Wie wird Volksmusik gefunden (hier ist die Vielfalt der Popkultur sicher in der Berliner Volxkirche schon eine starke Aussage
  • Wie kann die missionarisch-diakonische Dimension herausgearbeitet werden (Volksküche z.B.)?

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