Welche Sorte „Profetie“ ist für die Postmoderne angesagt?

Auf welche Formen der „Profetie“ lassen sich die Zeitgenossen der Postmoderne ein und auf welche die aus dem Zeitsegment der „Moderne“ (ganz zu schweigen die Typen aus der Vormoderne, dem agrikulturellen Zeitalter). Alle leben ja auf unserem Globus zeitgleich nebeneinander her…
Sich darüber klar zu werden, zu wem rede ich mit welcher Sprache und mit welcher Argumentationsfigur, ist also äußerst wichtig, um nicht aneinander vorbei zu reden. Das wurde mir besonders deutlich nach der Lektüre von…
Klaus Rudolf Berger: Einspruch gegen die Oberflächlichkeit, Lebe sinnvoll, denn es kommt auf dich an! Schwengeler 2006
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Hier meine Rezension:

Ein 204 Seiten starkes Buch, das als „Aufruf zur Besinnung und zur Umkehr“ mahnt. Dabei will Berger (laut Klappentext) „Konzepte, die der Auflösung menschlicher Lebensqualität entgegenwirken“ in das Gespräch einbringen. Als Christ bietet er ein Konzept an, das in der Umkehr zu dem dreieinigen Gott sinnvolles Leben verspricht.Zuerst ein Gesamteindruck:
Viele anregende Themen und Lesefrüchte werden mir vorgeführt:
• Eine interessante Einleitung zur „Lage der Nation“, kurz, prägnant mit möglichen Lösungsangeboten (wirkt wie ein Artikel zum Buch? vgl. S.12).
• Spannende Gedanken zu Widerstand und Zivilcourage (S. 24-26, S. 28f).
• sofort abgelöst von einem Exkurs zum „Gewissen“ (S. 26f)
• Der Hinweise auf Lebensqualität in der Gemeinde durch mehr Ausdruck von Freude als „Gotteslob“ (S. 104)
• interessanter Exkurs über die „Bannsprüche“ S. 116f
• interessante Definition von DEMUT S. 129
• prägnante Einsicht in den Zusammenhang von Verantwortung und Scheidungsrate (S. 130-132).
• interessantes Referat über die „Glücksformel“ S. 144
• klasse Essenzen aus soziologischer Sicht (Beck) S. 150: Gesellschaftliche Probleme können unmittelbar umschlagen in psychische Dispositionen: in persönliche Schuldgefühle, Ängste,… Es entsteht – paradox genug – eine neue Unmittelbarkeit von Individuum und Gesellschaft…“
• und viele praktisch-konkrete Anregungen zu: Das innere Team, Selbstachtung lernen, Aktives Zuhören, Freundschaft … (S. 141ff)
Nur: Nach dem Verständlichkeits-Regeln von Schulz von Thun u.a. („Sich verständlich ausdrücken“) wird mir das Lesen leider nicht leicht gemacht. Ich muß mich hindurchbeißen durch verschachtelte Satzkonstruktionen und durch manchmal unnötig komplizierte Wörter und Wortgebilde.
Das Argument „Der Grund für Schwerverständlichkeit liegt in der Sache – schwierige Dinge lassen sich eben nicht einfach erklären“ lasse ich nicht gelten. Wenn der Text schwer zu verstehen ist, so liegt das selten an seinem Inhalt. Der Inhalt ist meisten gar nicht so kompliziert. Er wird erst kompliziert gemacht – durch schwerverständliche Ausdrucksweise (siehe meine Alternativautoren unten).
Lehrmaterial sollte verständlich formuliert sein. Die wichtigsten Merkmale der Verständlichkeit sind (empirisch nachweisbar):
Einfachheit,
Gliederung – Ordnung
Kürze – Prägnanz
Anregende Zusätze
Alle diese Merkmale wirken sich auf die Verständlichkeit eines Textes aus.
Interessant ist die Beziehungen zwischen den Merkmalen:
Diese vier Merkmale stehen nicht in einen eindeutigen Zusammenhang zu einander. Einerseits kann es gut gegliedert und sehr weitschweifig oder kurz und ungegliedert sein. Das eine Merkmale sagt nichts über die anderen aus. Eine Ausnahme bilden jedoch die Merkmale Kürze – Prägnanz und Anregende Zusätze .
Sie stehen jedoch nicht vollständig unabhängig voneinander. Der Schreiber befindet sich in einem Konflikt: Kürze oder Anregung? Der Idealfall wäre: Die Anregenden Zusätze sind selbst kurz und ganz auf das Informationsziel ausgerichtet.
Beurteilungsmöglichkeit für Verständlichkeit eines Textes
Was läßt sich anhand eines Beurteilungsfensters über die Verständlichkeit eines Textes aussagen? Und wo liegt für jedes Merkmal das Optimum, also das günstigste Urteil für Verständlichkeit? Es gibt in der Skala 5 Werte:
Zwei Minus ( – –), Ein Minus (–), die Mitte (0), ein Plus (+) und zwei Plus (++):
* Einfachheit
Das Optimum liegt bei ++ (einfache Aufnahme des Informationsinhaltes)
* Gliederung – Ordnung
Optimum ++ (klare Übersichtlichkeit, gute Unterscheidung von Wesentlichem zu Unwesentlichem)
* Kürze – Prägnanz
Das Optimum liegt in der Mitte zwischen + und 0 (knappe und gedrängte Sätze — erschweren
ebenso das Verständnis wie weitschweifende Texte ++).
* Anregende Zusätze
Das Optimum liegt zwischen 0 und + .
Ein optimal verständlicher Text kann also insgesamt durch folgendes Beurteilungsfenster gekennzeichnet werden.
Einfachheit
++
Gliederung – Ordnung
++
Kürze – Prägnanz
0 oder +
Anregende Zusätze
0 oder +
Dem Buch von Klaus Rudolf Berger gebe ich folgende „Noten“:
Einfachheit
– –
Gliederung – Ordnung
0
Kürze – Prägnanz

Anregende Zusätze
+
Diese Benotung möchte ich jetzt begründen:
Berger erweist sich als äußerst belesen und als ein vielseitig interessierter Zeitgenosse. Von Philosophen zu Soziologen, Historikern, Neurowissenschaftlern und Journalisten sammelt er fleißig unterschiedliche Meinungen ein, ordnet sie in den Dreischritt Problemanalyse („Tragik der Oberflächlichkeit“ ca. 50 S.), Lösungsangebot („Aufrufe zur Umkehr“ca. 40 S.) und Vertiefung des Lösungsangebots („Bleibende Lebensqualität“ und „Sinnvolles Leben gestalten“ ca. 80 S.).
Was machte mir das Lesen so schwer, wo doch das Thema wichtig und aktuell ist?
Es fiel nicht leicht der Argumentation zu folgen, so dass ich nur mit Mühe am Ende des Buches ankam (Gliederung war im Detail zu verwirrend, obwohl eine deutliche Gliederung vorhanden ist). Dabei gab es einzelne Kapitel, die deutlicher mein Interesse weckten (Anregenden Zusätze bekam ++, was für viele interessante Aspekte spricht, aber letztlich doch zuviel des Guten ist).
Zur Einfachheit:
Bergers Sprache ist im allgemeinen kompliziert (darum die Note – – für Einfachheit).
Häufige Nominalformen, lange Sätze, viele passivische Formulierungen. Wenn dann noch die Fein-Gliederung unklar bleibt, sind viele Worte gemacht, aber der rote Faden nur mühsam zu finden. Förderlich für das Verständnis wäre manchmal grafische Verbesserungen (mehr Absätze, kleine Zwischenüberschriften) oder auch deutlichere verbale Gliederungshilfen: Vorankündigungen, was jetzt zur Debatte steht und warum (z.B. S. 41: „Allen erwähnten Erkrankungen liegt mehr oder weniger auch immer Oberflächlichkeit, fehlende Selbstwahrnehmung und Aufmerksamkeit zugrunde“. Dieser Satz kommt z.B. erst als Zusammenfassung einer längeren Argumentation, wobei ich mich schon länger fragte, warum lese ich gerade diesen Abschnitt? Oder: Zusammenfassungen am Ende, die das Ergebnis der Denkarbeit und die Früchte für den Leser bündeln.
Manche Abschnitte erwiesen sich als sehr zäh, weil Berger sehr komplexe Zitate von seinen Gewährsleuten z.T. bis zu einer Seite lang zitiert und dann auslegt, bzw. kommentiert.
• Rein sprachlich ist diese Art, einen Weg zum Thema zu finden, eine große Herausforderung für jeden Lesenden:
– häufig wechseln die Fachsprachen
– Berger muss die Zitate „übersetzen“, d.h. erklären
– er muss sie in die eigene Argumentationslinie eingefügen (– bei Ordnung und Gliederung)
– manchmal widerspricht er (z.T. mit ausführlicher Begründung, manchmal mehr thetisch), manchem stimmt er zu (solch eine Argumentationsform ist immer hochkomplex und schwer zu fassen)
– so wirkt der gesamte Text im Ganzen nicht sehr konsistent (– bei Ordnung/Gliederung).
Der Vorteil dieses Schreibstils ist, dass vielfältige Aspekte und interessante, oft sehr komprimierte und komplexe Beobachtungen zusammengestellt werden (+ bei anregende Zusätze).
Der Nachteil ist, die Linienführung fehlt (mangelnde Gliederung).
Im Bilde eine Musikstückes:
Es handelt sich um ein Potpurri aus lauter Höhepunkten unterschiedlicher Songs oder manchmal ganzer Symphonien. Aber die eigene Komposition kommt nicht wirklich zum Klingen. Ständig wechseln die Stilrichtungen, was den Leser in unterschiedliche, schnell wechselnde Zustände stürzt. Der Grundton des Stücks bleibt für mich irgendwie Moll, obwohl viele Dur-Stücke zitiert werden.
Für die Gesamtkomposition erschwerend erscheint mir eine gewisse Unklarheit über die Zielgruppe (das hat sicher großen Einfluss auf Gliederung/Ordnung und Kürze/Prägnanz-Faktoren):
Ist das Buch für Noch-Nichtchristen geschrieben, dann ist mir die ausführliche Behandlung von Selbstverständlichkeiten erklärbar:
• „Pfingstpredigt“ S. 69,
• S.85f: Erklärung zur Bibel: „Was versteht man unter dem Wort Bibel?“ und • der kleine Glaubenskurs S. 87-95,
• über das „Gebet“ S. 135-138
Wäre das Buch für Christen geschrieben, dann bekäme hier der Wert „Kürze/Prägnanz“ ein Minus.
Oder ist das Buch doch eher an Christen gerichtet?
An welche Christen im Einzelnen gedacht ist, wird mir nicht immer deutlich. • Einmal wird die Kirche als Ganze kritisiert, vgl. S. 52: „Krise der Kirchen zeigt deutlich die Folge der Gottvergessenheit an“,
• ein anderes Mal eine bestimmte Frömmigkeitsrichtung, vgl. S. 58,
• oder der einzelne Christ: vgl. S. 69: Wer in seinem Lebensumfeld und erst recht in seiner Gemeinde nicht an den Seligpreisungen orientiert lebt…“
• Und wenn eine Predigtform („nur Gottes Wort auszulegen“) kritisiert wird, bleibt unklar wie es denn besser gehen soll. Wie geht es ohne „eigenen Gedanken-Beiwerk“ (S. 121)?
• Unklar bleiben mir auch kritische Einwürfe wie „Hat nicht vielerorts die menschliche Bedürftigkeit nach Raumgestaltung, Wohlsein und Genugtuung für die eigene Spiritualität den Raum für Gott selbst verkleinert?“ S. 138 Wer ist hier mit was und wo vielerorts genau gemeint?
Diese Zielunschärfe hat wahrscheinlich auch sprachliche Folgen:
– Berger spricht häufig im „Wir“-Stil (um möglichst viele einzuschließen?)
– Berger bleibt etwas undeutlich in der Stoßrichtung seiner Argumente
– die Begründung wirkt von daher (je nach weltanschaulicher Voraussetzung) mehr oder weniger plausibel
– seine Stärke ist es, die humanwissenschaftlichen Forschungsergebnisse einzubringen, interessante Ergebnisse kurz zu präsentieren
– eine Schwäche aber, dass sie relativ unvermittelt neben den theologischen Erkenntnissen (die als Offenbarungswissen gesetzt werden) stehen, als hätte die biblische Offenbarung an sich Plausibilität bei den Nichtchristen. Der christliche Leser wird es sicher anders erleben… Der Noch-Nichtchrist benötigte einen mehr induktiven Zugang zum Heiligen der Christen, statt steile (deduktive) Ableitung von biblischer Autorität her.
Eine große Herausforderung an jeden Autor ist sicher die Gattung „Aufrufe zur Umkehr“ (prophetisches Reden).
Allein dieser Sprechakt hat es in sich. Die Forderung nach eine neuen „Reformation“ bedeutet in sich einen großen Anspruch. Offen bleibt mir der Schwerpunkt: Wer soll sich hier genau „geistlich erneuern“? Die Christenheit, einzelne Richtungen, jeder einzelne, die Noch-Nichtchristen?
Außerdem: Für jede der Zielgruppen benötigte der Sprechakt „Umkehrpredigt“ andere Begründungsfiguren. Und die liefert Berger auch, nur eben nicht in einer immer geklärten Zielgruppendefinition. So empfinde ich mich schnell als „nicht gemeint“ und halte mich raus (eine Form der klassischen Abwehr?) oder ich werde übersensibel und fange an innerlich zu argumentieren, weil mir die Begründung nicht schlüssig erscheint: z.B. S. 61: „Ich fordere Umkehr, weil ich das Neuwerden aus Gott in Jesus Christus erlebt habe… weil ich Verantwortung übernehme…, weil sie dem Weg zum Tode begegnet und sich dem Leben in Gott verpflichtet. Doch was helfen Forderungen, wenn sie nicht eingesehen werden?“
Genau das ist die Herausforderung, hier genau zu differenzieren. Als Leser frage ich mich, mit welcher Autorität Berger von mir Umkehr fordert. Oder fordert er sie auch für sich? Zum Sprechakt „fordern“ gehört die Autorität, das Geforderte auch zu bekommen und bei Verweigerung die nötige Strafe, bzw. den Druck aufzubauen, damit die Forderung eingehalten wird. Ich persönlich würde grundsätzlich auf „fordern“ verzichten und einen anderen Sprechakt wählen…
Außerdem hätte ich mir an den meisten Stellen eine klarere Ich-Position (statt der WIR-Form) gewünscht, von der ich mich als Leser –je nach Belieben– distanzieren oder mit der ich mich solidarisieren könnte. So bleibt schnell eine allgemeine kritische Distanz (bin ich das „wir“ wirklich? oder sind hier andere gemeint?).
Eine Grundfrage bewegt mich: Ist es wirklich zu erwarten, dass durch „Einsicht“ Umkehr erfolgt, wie Berger erhofft? Er weiß ja selbst: „Einfach ist es nicht, eingefahrene Verhaltensweisen, Einstellungen und Handlungen zu verändern. Dennoch appeliere ich an unsere Vernunft, unsere Erfahrung und Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, das uns ja in Gott durch Jesus Christus verheissen ist, weshalb Umkehr zwingend notwendig ist, um es zu erleben.“ S. 62 Nun, dieser lange Satz (vgl. Kriterium Einfachheit) hilft dem erwähnten „Fressüchtigen“ (S. 62) wahrscheinlich wenig zur konkreten Lebensveränderung. So bleibt Berger bei allen theologisch richtigen Erkenntnissen (vgl. S. 68: „wer sich von Jesus Christus zur Umkehr rufen lässt…“) doch zu diesem Thema die seelsorgerlich-praktische Hilfestellung schuldig. Denn der Umgang mit Süchten und Zwängen (für mich übrigens eine Modellvorstellung für das geheimnisvolle biblische Wort „Sünde“, vgl. Grundkurs Barmerzigkeit, Helge Seekamp u.a.) lässt sich nicht durch noch zu gute und mehr Erkenntnis in die Not der Lage verändern. Dann bleiben die wichtigen Fragen offen: Wie komme ich denn dahin, mein Leben zu ändern? Vielleicht ist der Begriff „Umkehr“ von Berger an dieser Stelle unglücklich gewählt und ein erstes „Umdenken“, bzw. „Nachdenken“ wären angemessener gewesen?
Ich befürchte also: Trotz vieler konkreter anregender Gedanken (siehe oben) wird der Leser mit der Ordnung des Stoffes etwas alleine gelassen, weil Berger die letzte Brücke zur Umsetzung nicht baut.
Offen bleibt für mich auch, ob die geforderte Umkehr so individualistisch gedacht werden kann wie Berger sie darstellt. So lautet der Untertitel: Lebe Sinnvoll, denn es kommt auf dich an! Das wundert mich, zumal Berger ja die Ich-Du-Beziehung deutlich hervorhebt. Vielleicht fehlt die Dimension des „Wir“?
Er gestaltet leider weder
• (Ausdrucks-)Formen der Umkehr in Gemeinschaft oder
• welche Gestalt Umkehr für eine Gemeinde bedeuten könnte
an keiner Stelle des Textes konkret aus.
Zugegeben, das würde mich als Gemeindepfarrer natürlich interessieren.
Vielleicht sollten seine Einsprüche aber auch nur Einzelne zum Nachdenken und Mitdenken anregen und „Umkehr“ ereignete sich im Lebensrahmen konkreter Gemeinschaft – und das wäre dann ein neuer Ansatz – jenseits dieses Buches. Denn den Weg zu einer solchen Gemeinde kann ein Buch natürlich nicht ersetzen. Dieser Sprechakt bliebe einem Prediger in einer konkreten Versammlung vorbehalten. Manche Passagen in Bergers Einspruch könnten ihren Platz ihrer Gattung nach auch in der gemeindlichen Evangelisationsveranstaltung besser einnehmen.
Zuletzt mein Grundeinspruch.
Bisher habe ich bei der Besprechung versucht mich auf den Ansatz von Berger grunsätzlich einzulassen und von daher meine Wahrnehmungen zu ordnen. Was aber, wenn der Ansatz von außen grundsätzlich befragt wird?
Das prophetische Denkmodell von Berger fußt auf seiner Grundentscheidung der (gesamten?) Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts „Oberflächlichkeit“ zu attestieren. Er geht von der These aus: „Denkarbeit, bzw. „Widerspruch sei unangenehm, weil er Mühe macht und zu Konsequenzen der Denk- und Verhaltensweisen führt“ S. 27. Was aber, wenn diese Grundthese nicht stimmt?
Nun gibt es aber auch andere „prophetische“ Zeitgenossen wie z.B. den Zukunftsforscher Matthias Horx, der in mehreren Publikationen den Paradigmenwechsel von dem „industriellen Zeitalter“ zum „Wissenszeitalter“ beschreibt und sehr spannende Verschiebungen in allen 8 Sphären darstellen kann.
Matthias Horx:
Die acht Sphären der Zukunft, Signum, 1999;
Future Fitniss, Wie Sie ihre Zukunftskonpetenz erhöhen. Ein Handbuch für Entscheider, Eichborn, 2003;
Wie wir leben werden, campus, 2005, 2006, 3. Aufl!
Dabei deutet er nicht alles als Verfall und Verschlechterung, sondern zeigt optimistisch eine evolutionäre Verbesserung an (vgl. in „Sphären“ ein komprimierter Überblick S. 36f). In „Future Fitness“ lässt er seine Leser sogar am Anfang einen Selbsttest durchführen: „Future Mind oder Wie Sie sich nicht ins Zukunftsbockshorn jagen lassen“ (S. 13ff).
Der Clou seiner Darstellung:
• „Meiden Sie Zukunftsbesoffenheit und den Zukunftszeigefinger (S.42; auch Berger war dieser Aspekt wichtig, vgl. S. 78: gg. „Zeigefinger“ und „Besserwisserton“),
• „Verstehen Sie, wie Zukunft entsteht oder Das prophetische Paradox“ (S. 47ff)
• und zum Schluss: „Nehme Sie Zukunftshaltung an und werden sie illusionsloser Optimist“(S. 55ff).
Die konkreten „Visionen“ seiner Grundentscheidung als illusionsloser Optimist stellt Horx in seinem jüngsten Werk „Wie wir leben werden“ seinen Leserinnen dar.
Horx fordert Christinnen und Christen sicherlich sehr heraus. Allein die Tatsache, dass Christentum bei Horx (fast) gar nicht mehr vorkommt, macht nachdenklich. Ob das der Wirklichkeit der Zukunft entspricht, werden wir sehen. Aber an einer solchen Position müssen Christen sich zumindest abarbeiten.
Berger würde sich aus der Perspektive von Horx mit seinem eher etwas „apokalyptischen“ Ansatz („eher Pessimismus statt Otimismus“) mit dem folgenden Einspruch von Horx auseinandersetzen müssen (Future Fitness S. 56f):
“Zukunftsfitness wird zuallererst von Haltungen entschieden. Also richten Sie sich auf…Was ich als Grundhaltung vorschlage, ist eine Haltung des illusionslosen Optimismus.
Warum „illusionslos“? Die Zukunft ist kein Erlösungszustand, kein technologishes Nirwana, in dem „alles gut“ wird. Der Planet wimmelt von ungelösten Problemen, die unsere ganze Kraft und Kreativität erfordern werden. Wir sind Teil der Evolution und als solche den Gesetzen von überleben, Wachstum und Aussterben ausgesetzt. Die Zukunft ist keine Garantie. Sie ist ein Risiko.
Andererseits müssen wir uns an einem gewissen Punkt entscheiden auf welcher Seite der Hoffnungsbarrikade wir stehen. Wollen wir in unserer vergangenheitsverliebten komfortzone verharren? Oder wollen wir einen Beitrag leisten, dass Zukunft möglich wird (in unserer Familie/Gesellschaft/Firma)?… Wir müssen – und können– glauben, dass Menschen lernen, wachsen und auch in schwierigen Zeiten Übergänge bewältigen können…“ S.56
Horx Glaubenssätze lesen sich dann so:
• Die Zukunft ist robuster, als wir glauben
• Nur weniges ist wirklich neu
• Die Natur ist keineswegs gut, gerecht oder gar „harmonisch“
• Es gibt Fortschritt
• Die Zivilisation kommt vorwärts, indem sie stolpert
Sicher muss Horx aus christlicher Perspektive auch kritischen Widerspruch erfahren, aber faszinierend bleibt sein Vortrag allemal: Seine Sprache sprüht von Optimismus, sein Humor macht einfach Spass, manchmal ist er herrlich frech, seine Wahrnehmungen haben eine große Plausibilität und vor allem: er schreibt äußerst verständlich.
Als Leser von Horx bekomme ich Lust auf Zukunft, als Leser von Berger drängt sich mir eher der Aspekt der Arbeit und Mühe statt der Hoffnung und (Vor-)Freude auf. Aber haben nicht Christen eher Grund zu einer ungebremsten Freude – trotz allem Widersprüchlichen und Mühsamen? Das ist emotional einer der Hauptgründe, warum ich Bergers Buch auch etwas ungern zu Ende gelesen habe.
Zumal sein Ansatz eher restaurativ wirkt – zurück zu christlichen Errungenschaften!– und für den Leser des 21. Jahrhunderts nicht mehr von selbst Plausibilität erwarten kann. Berger argumentiert als Kind des Industriezeitalters oder anders der Moderne, Horx spricht als Postmoderner Denker. Die beiden können sich nicht wirklich begegnen.
Der suchende Leser der Postmoderne (bzw. des „Wissenszeitalters“) benötigt einen eher Horxschen Ansatz:
• einen großen Wurf mit Mut zur eigenen (nackten) Meinung
• mit Optimismus (bzw. Hoffnung) im Grundton
• und in der Durchführung.
• wenig dogmatische Voraussetzungen
• und bitte, bitte Verständlichkeit – ich muss so vieles, viel schneller aufnehmen als früher…
Warum nicht die Möglichkeiten des „neuen Zeitalters“ mehr ins positive Licht stellen? Gerade die Würdigung der Annehmlichkeiten und faszinierenden Möglichkeiten der neuen Kommunikationstechniken lassen verspielten Jungs wie mir natürlich die Augen leuchten… Aber nicht nur das!
Übrigens: Ein anderer Christ hat als Wirtschaftsjournalist einen für mich gelungenen Entwurf geleistet, die „Geschichte der Zukunft“ (Eric Haendeler, Brendow, 2003) in ihrer Mehrschichtigkeit hoffnungsvoller (optimistischer?)darzustellen. Haendeler folgt Horx in seiner Grundausrichtung, dass das neue Jahrtausend mit dem Paradigmenwechsel zur „Wissensgesellschaft“ neue Kompetenzen fordert (u.a. emotionale Intelligenz, vgl. übrigens auch Berger S. 141ff), die gerade von Christen viel leichter gelebt werden könnten (so Haendeler), weil sie dem christlichen Ethos entsprechen. Hier wird der christliche Weltentwurf in seiner Funktion als „Lösungsangebot“ gewürdigt. Haendeler prognostiziert dem Christentum (anders als Horx) ein großartige Zukunft, weil es gesellschaftlich wieder notwendig wird (konkret dazu besonders sein 2. Buch „Kondradieffs Welt. Wohlstand nach der Industriegesellschaft, Brendow, 2005). Nach dem Motto: Wartet nur ab… Das macht Mut. Seine Hintergrundfolie ist aber – anders als Bergers Ansatz – der hoffnungsvolle Grundton: „Wir Christen werden unsere Chance noch bekommen!“
FAZIT:
Mit gemischten Gefühlen überlasse ich jedem Leser, sich seine Lesefrüchte in Bergers „Einspruch“ zu pflücken. Und für Leser der „Moderne“ gibt es einiges zu pflücken. Dieses Buch ist für einen Teil der (interessierten) Christen sicherlich eine Denkhilfe für detailierte Teilbereiche der Wirklichkeit, sie müssen aber bereit sein, ihren Eigenanteil bei der Systematisierung der Gedanken und genug Energie zum Dranbleiben über die schwer verständlichen Passagen mitbringen. Der große Wurf und die rote Linie geht etwas unter in der Vielfalt der Einsprüche.
Der Postmoderne wird sich wohl eher nicht auf die Spur setzen lassen, die Berger argumentativ vor ihm ausbreiten will.

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